Let's fetz die Technologie!

Let’s fetz die Technologie!

Vom Spass am Zukunft-Gestalten

Zahlen können sein wie Lessing auf seinem Sockel über dem Hamburger Gänsemarkt: Von allen Seiten betrachtbar, und dabei ganz unverrückbar, klar, fest. Und sie können treffen wie ein elektrischer Schlag, die Zahlen: Zack! Ganz kurz – und man ist sehr plötzlich sehr da. Präsent.

„Frauen machen 60 Prozent der Arbeit“, sagt Nick Zippel, „sie besitzen aber weniger als 2%“. Hui. Ein Raunen geht durch den Raum.


Zippel liebt es, so aufzuwecken. Klare Zahlen zu nennen – und die Menschen mit diesen Informationen „aufzuladen“. Entspannt im direkten Gespräch. Wie geladen an diesem ersten November-Nachmittag: „Unsere Kohlekraftwerke produzieren 40 Prozent der deutschen CO2 Emissionen.“[1]

Und: „In keinem anderen Land der Welt wurde 2012 so viel Braunkohle verbrannt wie in Deutschland“.[2] (Nicht einmal in China? Nicht einmal in China.)

 

Nick Zippel steht vor dem Publikum der „Hamburger Energie- und Umwelttagung“ und fetzt (mal wieder) den Raum. Im großen Saal des Riverside Hotels, während hinter ihm Schiffe und Barkassen auf dem Hamburger Strom, der Elbe ein- und ausfahren, der Himmel über Blohm & Voss „many shades of grey“ spielt und sich um die Ecke die Davidstraße auf den Abend vorbereitet.

 

Rund 250 Teilnehmer zählt die diesjährige, die bereits neunte „Hamburger Energie- und Umwelttagung“ auf St. Pauli. Sie wird maßgeblich gestaltet und organisiert von drei Hamburger Firmen, deren Geschäftsgrundlage Klimaschutz und Umsetzung der Energiewende in Hamburg und Umgebung bilden (Sager&Deus, B.A.U.M. Consult, Paul Opländer). Dementsprechend wurde die Tagung von Jesko Mohr (Sager&Deus) und Peter Krabbe (B.A.U.M. Consult) am frühen Nachmittag eröffnet. Gegen 3 Uhr morgens, nach viel Input, ist es vorüber.

 

„Energie und Umwelt“ klingt erstmal nach Technik. Und sieht man all die Institutionen und Unternehmen, die sich im Vorraum präsentieren (wie Stiebel Eltron, AcoTec, Brötje, Buderus, Viessmann) wird klar, dass sich hier Technik mit Mensch und Zukunft verbinden sollen.

Dennoch geht es auf dieser Tagung nicht nur um technische Energie. Es geht auch um diejenige, die wir manchmal in uns selbst spüren, und von der wir nie genug kriegen können. Diese Energie, die wir z.B. erleben, wenn wir verliebt sind, oder einen anderen zum herzhaften Lachen bringen. Wenn wir so richtig gut aufgeladen sind, uns ganz lebendig fühlen – und voller guter Laune in unserer Welt, unserer Umwelt sind, leben, herumstromern. Um diese Energie geht es, um diese (Um-)Welt.

 

Genannt oder konkret thematisiert wird das hier nirgends - es passiert, es geschieht bei diesem Zusammentreffen von Besitzern, Entscheidern, Gewerken aus der Immobilien-Welt miteinander und mit Umweltverbänden (wie ecoAct e.V.), Energieversorgern und auch der einen oder anderen aus Politik, Rechts- und Finanzwelt (wie Christian Marks von der GLS Bank, die – übrigens – erste Öko-Bank der Welt).

 

Man lädt sich auf, wie eine kleine Batterie. Mit diesem Kribbeln, dem lebendigen inneren Sprudeln. Mit Ideen, von dem, was möglich ist – und was man möglich machen möchte. Hier und jetzt, und dann auch morgen da draussen, in der Rest-Welt.

 

Wie die Tagung das schafft?

Das Geheimnis könnte in der Zielsetzung liegen: Die Teilnehmer zu energetisieren. Wirtschaft, Hamburger Firmen, jeden Einzelnen zu couragieren, mitzumachen. Beim großen Abenteuer „Klimarettung“. Mitzumachen mit dem, was man tun kann. Auch und gerade, in dem die Technik so eingesetzt wird, dass die Energien, die wir für unser Leben brauchen, zum Erhalt unserer Welt fließen – und nicht zum weiteren Zusammenbrechen.

 

Nur muss man eben dazu wissen, wie und wohin die Entwicklung gehen sollte, und auch wohin nicht. Weiß man das Ziel und kennt man ein paar Wege, so kann es losgehen, bzw. weitergehen, das Abenteuer. Auch im Bereich der Gebäude-Wirtschaft.

 

„Schneller Kohleausstieg“, „Regenerativ/Erneuerbar“ und „Dezentral“ lauten die großen Leitlinien der meisten Fachleute. Diese werden als Wege in die Zukunft angesehen.

Dass diese Wege noch recht neu, aber doch bereits massiv eingeschlagen sind, zeigen Zahlen vom Umweltbundesamt zu den Fördergeldern der letzten Jahrzehnte einerseits und die Entwicklung der Arbeitsplätze andererseits:

 

In den Jahren 1971-2012 förderten wir (als deutscher Staat):

Kohle und Atomenergie mit 611 Milliarden Euro.

Erneuerbare Energien: 67 Milliarden Euro.[3]

(Macht einen Unterschied von über 540 Milliarden Talerchen!)

 

Die Anzahl der Arbeitsplätze dagegen entwickelte sich so: Kohle: 400.000 im Jahre 1963 und 33.500 im Jahre 2015.

Erneuerbare Energien: 160.000 im Jahre 2004. 371.000 im Jahre 2013. Tendenz steigend.[4] (Die FAZ berichtet am 29. Juli 2017 von bereits 537.000 Arbeitsplätzen.)

 

Und noch etwas zu den Schäden von Gesundheit und Material, ausgedrückt in Cent pro erzeugter Energieeinheit (kWh): 10,75 Braunkohle, 8,06 Öl, 1,18 Photovoltaik, 0,26 Windenergie.[5]

Und: Laut Umweltbundesamt verursachte 2014 die Kohle alleine 26 Milliarden Euro Umweltschäden und wird jährlich mit 50 Milliarden Euro vom Staat subventioniert.[6]

 

„Wir müssen also raus aus der teuren, umwelt- und gesundheitsschädigenden Kohle. Wir müssen ein Bewusstsein schaffen für weniger CO2“, sagt einer der Redner, Marco Martens. Er hat mit seinem Unternehmen „HIT Isolier- und Brandschutztechnik“ ein wirtschaftlich florierendes Unternehmen aufgebaut, das (z.B. mittels Rohrleitungsdämmung) hilft, jede Menge CO2 einzusparen.

 

Ein anderer Vortragender, Philipp Schröder von „Sonnen“ (Stromspeicherhersteller und Stromversorger) zeigt mögliche Wege hin zur flächendeckenden und optimalen Stromversorgung. „Dezentralisierung“ ist hier das Stichwort, und das geht so: Wir alle machen als größere oder kleinere Stromproduzenten mit und schließen uns zu einem flächendeckenden System der „Stromgeber und Stromnehmer“ zusammen. Nur kommt dieser Strom eben nicht mehr aus Kohlekraftwerken, sondern wird von Bürgern jetzt aus der Sonne geerntet und in Kellern durch z.B. Windgas produziert. Strom wird also nicht mehr zentral in Großkraftwerken, sondern dezentral in vielen kleinen Anlagen erzeugt.

 

Neben den technisch-beschlagenen Fachleuten, die von gewissen technischen Neuerungen, Möglichkeiten, Potentialen berichten, treten bei der „Hamburger Energie- und Umwelttagung“ auch andere Sprecher auf das Podium. Solche wie die Klima-Experten Hans Joachim Schellnhuber oder Moji Latif, der Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker oder die Köchin Sarah Wiener. Dieses Jahr ist unter anderem Windgas-Papst Professor Michael Sterner dabei, sowie Bestseller-Autor Professor David Richard Precht, also jener aus Funk und Fernsehen bekannte Frauenschwarm unter den zeitgenössischen Philosophen. Über Tierethik und Nachhaltigkeit spricht er am frühen Abend. Und davon, dass unsere Erdoberfläche nun mal nicht erweiterbar ist. Aber, so fügt er ironisch hinzu: „Man muss ja nicht alles glauben, was man weiß.“  

 

Professor Sterner hat es eher wenig mit ironischen Bemerkungen. Er ist schlank, blond und hat auch mit seiner freundlichen Offenheit etwas vom jungen Otto. Dabei ist Sterner kein Ostfriese, sondern waschechter Bayer, Hochschul-Professor in Regensburg. Als dieser berichtete er von den großen Potentialen des Windgases für die nächsten 100 Jahre. (Beim Windgas wird die überschüssige Energie aus Windenergie zu Gas umgewandelt, dass dann nicht nur nutzbar, sondern eben auch zu speichern und zu transportieren ist.) Aber vor allem möchte er zur Dekarbonisierung (also zur CO2-Reduzierung) und überhaupt zur Weiterentwicklung couragieren. Wir haben keine Zeit zu verlieren, findet Sterner. Und er weiß, dass wir alle nötigen Werkzeuge für eine gute Zukunft in der Hand haben. „Zu sagen, die Probleme seien nicht zu lösen, ist Quatsch. Wir müssen es nur machen.“ Ein guter Weg sei das richtige Investment, meint Sterner. Und auch Deinvestment, wie es die britische Zeitung „The Guardian“ nennt, wenn man aktiv Gelder aus einem Bereich herauszieht. Sterner hat diesbezüglich auch eine Zahl zu nennen. Eine Zahl mit viel Potential. „Deutschland“, so macht Sterner auf, „importiert pro Jahr Energie in Form von Öl, Gas, Kohle für 100 Milliarden Euro.“ Das ergibt in 10 Jahren 1000 Milliarden Euro. „Dieses Geld in die Infrastruktur für erneuerbare Energien zu investieren, ist eine gute Kapitalanlage.“ Vor allem eine gute Anlage für die Zukunft.

 

Sterner ist ein agiler Typ. Sehr höflich, und ähnlich wie Philipp Schröder, Marco Martens und Nick Zippel geradezu jungenhaft.

Überhaupt, so fällt auf, haben die Menschen, die mitmachen bei dem großen Abenteuer Klimarettung, diese prickelnde Lebendigkeit, dies Glänzen in den Augen, Lebensfreude. Ganz egal, ob sie große Firmen führen oder kleine Projekte umsetzen, wie die ganz persönliche eigene CO2-Reduzierung mittels Abfall-Vermeidung, Ressourcenschonung durch Teilen (wer braucht eine eigene Bohrmaschine, wenn der nette Nachbar eine hat?), Bahnfahren statt Fliegen, Wohnraum-Reduzierung, oder, oder, oder. Mitmachen kann jeder. Und den Spaß daran haben auch. Egal, in welchem Alter man gerade steckt, in welchem Beruf man wirkt. Jeder zählt. Alles zählt. Auch weil es das eigene Dasein belebt.  

 

„Die Leute sind dankbar für so eine Tagung“, bemerkt Nick Zippel. So wie er dasteht, mit der Mischung aus Brennen und dem Antlitz eines frechen Teenagers, wäre er früher sicherlich Popstar geworden. Heute hat man besseres zu tun. Er sowieso. Im letzten Jahrzehnt hat er zusammen mit ein paar anderen in Hamburg die Gebäude- und Umwelttechnik-Firma „Sager & Deus“ aufgebaut und vor einigen Jahren „Paul Opländer“ übernommen. „Als analoge Plattform für jeden, der autark werden will. Unser Credo ist: Anti-Atom und Anti-Kohle.“ Wer denkt, dass man mit so etwas kaum etwas auf die Beine stellt, irrt. Zippel ist mit seinen Unternehmen immens erfolgreich. 157 Mitarbeiter zählen sie bereits. Tendenz steigend.

 

Aber jetzt erst einmal geht es für den Vater von vier Kindern nach Bonn, zur Klimakonferenz. Auch als Vertreter der Wirtschaft. Denn während die Meldungen des Klimawandels immer bedrohlicher werden, versucht sich derzeit in Berlin die FDP mit klimafeindlicher Wirtschaftspolitik zu etablieren und zu positionieren. Also sozusagen Trampel-Trump-Wege einzuschlagen. Das ist so doof, da möchte man HB-Männchen spielen und ganz rot anlaufen und irre werden. Und sich dann mit Lessing entschuldigen: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“

 

 

Bewegte Bilder zu der Veranstaltung gibt es auf dieser Webseite:

http://www.haustechnik.hamburg/aktuelles/veranstaltungen/9-hamburger-energie-und-umwelttagung

Die Vorträge von Precht, Sterner, u.a. gibt es auch auf dieser Seite:

http://www.haustechnik.hamburg

 

 


[1] „Schwarzbuch Kohlepolitik“, Greenpeace-Studie, 2013. https://www.greenpeace.de/files/publications/20130409-schwarzbuch-kohle.pdf

[2] „Schwarzbuch Kohlepolitik“, Greenpeace-Studie, 2013. https://www.greenpeace.de/files/publications/20130409-schwarzbuch-kohle.pdf

[3] „Was Strom wirklich kostet“, Studie von Greenpeace-Energy und BWE, 2012.

https://www.greenpeace-energy.de/fileadmin/docs/publikationen/Studien/Stromkostenstudie_Greenpeace_Energy_BWE.pdf

[4] „Klimabeitrag Kohlekraftwerke“, Positionspapier Umweltbundesamt April 2015.

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/klimabeitrag_fuer_kohlekraftwerke_2.pdf

[5] „Daten zur Umwelt 2015“, Umweltbundesamt 2015.

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/daten_zur_umwelt_2015.pdf

[6] „Daten zur Umwelt 2015“, Umweltbundesamt 2015.

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/daten_zur_umwelt_2015.pdf

 


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