Teil 6 - Hamburg und Dänemark

Dänemark mit seinem Vermögen, aus Menschen die glücklichsten Bürger der Welt zu machen, wäre doch also ein hübsches Vorbild für uns.

Allerdings: Aus der Hamburger Perspektive erscheint Dänemark sehr weit entfernt. Wie auf einem anderen Kontinent. Und das ist merkwüridg. Sehr merkwürdig. Denn wir Norddeutschen sind mit keinem anderen Land so eng verflochten wie mit Dänemark. Historisch gesehen. Und mit so vielem anderen dazu.


Historisch: Über Jahrhunderte gehörten große Teile des heutigen Hamburgs zu Dänemark. So war Altona lange die zweitgrößte Stadt im Herrschaftsgebiet der dänischen Monarchie. Und am dänischen Hof sprach man nicht dänisch, sondern deutsch und französisch.

Erst vor 150 Jahren, in den 1860ern erlebte die enge Verbindung von Norddeutschland und Dänemark eine immense Erschütterung: Als im Zuge der sogenannten „deutschen Einigungskriege“ unter dem eisernen Bismarck die preußischen und österreichischen Truppen Dänemark besiegten und Schleswig-Holstein verloren ging. Die entscheidende Schlacht bei Düppel, durch die Dänemark am 18. April 1864 besiegt wurde, erinnert bei uns kein Mensch mehr. In Dänemark ist Düppel ein wichtiger Gedenkort geworden, der als ein Wendepunkt in der dänischen Geschichte angesehen wird. Als ein Punkt, der zu einem Zusammenbruch Dänemarks führte, von dem aus sich das Land berappeln und neu finden musste.

Es war also im April 1864, als die Deutschen (in Form von Preußen und Österreichern) auf das Herrschaftsgebiet von Dänemark marschierten, es schlugen, ihnen Norddeutschland entrissen und das Land in eine große Krise warfen.

Und es war wieder in einem April, der von 1940, als die Deutschen wiederkamen. In Form von Nazis, die Dänemarks Neutralitätshaltung ignorierten und das Land besetzten. Für den Rest des Zweiten Weltkrieges. Mit all dem abscheulichen Gebaren, für das NS-Deutschland bis heute steht.

Da dürfte es uns kaum verwundern, wenn die Dänen uns mit einer gewissen Reserviertheit gegenüberstehen. Und wenn sie auch uns in Hamburg als etwas ansehen, das in weiter Ferne existiert und mit dem man nicht viel mehr zu tun hat, als eben die üblichen innereuropäischen Kontakte.

 

Aber wieso ist für uns Hamburger und Norddeutsche Dänemark so weit entfernt? Wieso steht es, stehen die Dänen so weit außerhalb unserer Wahrnehmung? Wieso können wir nicht ihre Sprache, wissen kaum etwas über die aktuelle Kultur und politische Lage?

Neben der historischen Verbindung gibt es auch viele weitere Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten. Das beginnt schon bei der Landschaft. Nord- und Ostsee zum Beispiel. Die Weite. Die wenigen Steigungen.

Eine der höchsten Erhebungen in ganz Dänemark ist ein Ort, der 147 Meter über dem Meeresspiegel ist. Deswegen heißt der Ort auch gleich Himmelbjerget – Himmelberg. Natürlich können wir Hamburger das nachvollziehen. Wir finden auch, dass 147 Meter sehr, sehr hoch sind und die Bezeichnung „Berg“ verdient. Ist doch eine unser höchsten Erhebungen nur knapp 75 Meter hoch und auch ein Berg: Der Süllberg in Blankenese.

 

Vorallem aber ist da die Gemeinsamkeit des Weltbildes! Was bei einer Beschäftigung mit dem dänischen Weltverständnis alles auftaucht, was man bis dato als ganz persönliche, eigene Vorstellungen, Weltauffassungen, Sichtweisen und Einschätzungen angesehen hatte! Das beginnt bei A wie die Ablehnung von Autoritäten und hierarchischen Strukturen, die Ablehnung von Elitedenken und harten Konkurrenzverhalten, geht über vieles weiteres bis hin zu Z wie die Zustimmung zu einem Verhalten von Zusammenarbeit, Kooperation, und Zurückhaltung, Bescheidenheit, von sozialer Verantwortung und Inklusion.

Par bleu! Das ist man also nicht nur selbst, der so denkt! Da ist ein ganzes Land, das die Welt so begreift! Ist das Mentalität?

 

Es gibt eine Unterhaltung mit Niels Bohr von 1924, die Werner Heisenberg in seinen Memoiren nachskizzierte. Die beiden Atomphysiker, Bohr war Däne, Heisenberg Bayer, wanderten damals von Kopenhagen aus nördlich, am Øresund entlang in Richtung des Hamlet-Schlosses Helsingør. Und sie sprachen über die Unterschiede in den Gesellschaften: Über preußische Tugenden als Grundlage in Deutschland einerseits, die Gemeinschaft von freien Menschen in Dänemark andererseits.

Bohr überlegte, dass die preußische Haltung sich vielleicht aus dem Bild des Ordensritters, der das Mönchsgelübde ablegte, entwickelt habe. Und er meinte, dass in Dänemark eben ein ganz anderes Bild die Gesellschaft prägte: Das der Helden der isländischen Sagen. „Wenn Sie die Sagen lesen“, sagte Bohr zu Heisenberg, „werden Sie vielleicht entsetzt sein, wieviel da von Kampf und Totschlag die Rede ist. Aber diese Männer wollten vor allem frei sein, und eben deshalb respektierten sie auch das Recht der anderen, ebenso frei zu sein.“ Und dann sagte Bohr : „Gekämpft wurde um Besitz oder Ehre, aber nicht um die Macht über andere.“

Also: Zaster und Klunker? Ja! Andere bestimmen? Nö!

Über andere zu herrschen ist also in Dänemark kein Desiderat! Und bei uns? Sehen wir das nicht genauso? Ist nicht das Hamburgische „Kein Herr über mir. Kein Knecht unter mir“ genau das: Die Vorstellung, dass eine gute Gesellschaft egalitär ist und dort jeder einfach so ist, wie er gerade will. Und es zum Beispiel sehr unpassend, ja, eine Anmaßung wäre, sich als etwas Besseres darzustellen, in dem man andere runtermacht. Dass ein einzelner Polizist oder Straßenkehrer eben nicht mehr und nicht weniger zählt als der für sie zuständige Innen-Senator?

Ist das nicht ein Gut, das wir so denken und fühlen?

 

Und dann all die anderen Aspekte der dänischen Mentalität, die in der norddeutschen und der Hamburger wiederzufinden sind oder zumindest dort stark widerhallen… Aber wir wollen an dieser Stelle abbrechen (auch wenn das Thema noch ungemein mehr bereit hält) und jetzt nur festhalten: Wenn wir über uns selbst, über unsere Hamburger und norddeutsche Identität reflektieren und uns darüber klarwerden wollen, dann kann der Blick nach Dänemark und deren Art, die Welt zu verstehen und zu ordnen, ein großer Gewinn sein.

Weil wir am Ende des Tages dann wohl doch in vieler Hinsicht mehr mit den Dänen gemein haben als mit den pfiffigen Berlinern oder distinguierten Briten – und mit den lustigen Bayern und netten Schwaben sowieso.

 

P.S. Und so nah ist Dänemark in Kilometern: Von Hamburg bis zur Grenzstadt Sonderburg sind es knapp 100 Kilometer weniger als nach Berlin (gerade mal 200 km). Und von Hamburg nach Kopenhagen, in die nordische Metropole? Auch nicht viel weiter (insgesamt 330 km).