Tag 7 – Über einen Röschtigraben von Gruyère nach Interlaken. Oder: Von einem Denken und Lebensglück

 

Platsch!  Blauer Himmel, strahlende Sonne, sengende Hitze – was gibt es da besseres, als ein Sprung ins kalte Wasser? Natürlich: Nicht jeder mag das. Manche wollen kein Nass. Aber es kriegt einen immer. Zum Beispiel, weil es von oben kommt. (Fotos werden beim Anklicken groß und zeigen Bildtext.)


So wie an diesem frühen Morgen, bevor wir in Yverdon losfahren. Wie aus Kübeln donnert es herunter - und platscht.

Doch die Sonne dudelt kein längeres Grau. Unter blauem Himmel surren wir gen Osten, nach Gruyère.

Der Ort, wie ein Sahnehäubchen auf einer Hügelspitze liegend, ist mini, entzückend – und recht touristisch. Am Ende des kurzen Ganges durch das Dorf geht es etwas hoch - zum Schloss und einem weiteren dieser Ausblicke auf eine atemberaubende Landschaft. Während wir das Grün in der Weite bestaunen, hören wir im Hintergrund geistliche Musik. Und als wir uns umwenden, tritt aus den dicken Schloss-Mauern plötzlich ein bunter Zug hervor. Inklusive Musikkappelle, Baldachin-Trägern, Pater im vollen Ornament, Fahnenträgern und vielen Trachten. Wie für uns gezaubert. Ist das Folklore? Für die Touristen? Ganz und gar nicht. Heute ist Fronleichnam – und in den katholischen Regionen ist dieses ein Feiertag. Auch in Bayern. Und eben in Gruyère. Der Zug wird angeführt von Jugendlichen und Kindern in weißen Kutten. Wie Druiden-Lehrlinge sehen sie aus (siehe Fotos).

 

Wir sind also nicht die einzige „Prozession“ an diesem Tage. Wenn wir mit unseren Elektros auch weniger bunt, weniger musikalisch, weniger geschlossen daherkommen mit unseren Elektros. Dafür reisen wir weitere Strecken und längere Zeiten.

Verkünden tun wir beide: Der Fronleichnam-Prozessions-Zug die körperliche Gegenwart von Jesus (in dem diese in Form der Hostie in der „Monstranz“ vom Pater unter dem mobilen Baldachin durch das Dorf und die Natur getragen wird). Und wir mit unseren Elektros das umweltfreundliche Neue. Ein neues Zeitalter ohne Benzin, Diesel, ohne Öl und Gas. Ohne die Fossilen.

Das ist das Neue, was wir wollen.

Platsch! Da hinein wollen wir springen – wie an einem heißen Tag ins Wasser und darin leben.

In etwa so, wie die Christen ein großes „Ja!“ ohne wenn und aber, ihrem Gott zurufen können, so können wir es dem Umweltschutz, dem Nachhaltigen, den Elektros zurufen.

Einfach so. Ohne Wenn und Aber! Ja! Ja! Ja!!!!

 

„Einfach so - das ist unseriös. Man muss die Inhalte kritisieren. Man muss die Mängel finden. Die Schattenseiten. Das Niederträchtige“, lautet eine Handlungs- und Denkmaxime, die in Deutschland sehr bestimmend geworden ist. Sie entstand in den 1960ern – im Zuge der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Zeit, die unter den Teppich gekehrt worden waren. Und sie war so gut und förderlich und wichtig. Als Identität, so schwant uns, taugt sie aber nicht. Nur ist sie genau das für viele gebildete Bürger geworden, zumeist, ohne, dass es ihnen selber klar ist!

„Kritisches Bewusstsein“ nennt der FAZ-Autor Michael Rutschky diesen Geisteszustand, in dem man das Leben nicht einfach annimmt, sondern stets Abstand wahrt und es „im Hinblick auf seine speziellen Nachteile“ durchmustert. Und sich dabei auch nicht als Mitglied der Gesellschaft versteht, sondern als jemand, der ihr gegenüber steht. („Als man noch an Liebesheiraten glaubte“, FAZ, 1.7.2017, S. 12) Als ihr ewiger Kritiker, Nörgler. Als Beschlecht-achter (im Gegensatz zum Begutachter).

 

Aber eben:  Mit einem ängstlichen Geist, der Distanz hält und der dem Leben nur gegenübersteht, kann man nicht in das Leben hinein. Man bleibt aussen vor. Zuschauer. Kein Erleber.

Und dieses Aussen-vor-bleiben, das macht etwas mit uns. Unserem Denken, unserem Empfinden.

Natürlich: Auch der Mensch, der in dieser Identität mit dem kritischen Bewusstsein lebt, wird dann und wann seine Beurteiler-Position aufgeben und hier und da mittun, erleben. Nur eben wird er das stets mit Stocken, mit Vorsicht tun. Und auch das macht etwas mit ihm. „Einfach so“ geht gar nicht. Freudiges Hineinspringen? Undenkbar.

Welch‘ Verlust an Lebensglück!


Wir fahren weiter auf unserer Elektro-Umwelt-Prozession, weiter durch die Walliser Schweiz und dann über einen Röschtigraben hinüber – jene Grenzen zwischen den französisch-sprechenden Wallisern, den „Welschen“ und den Suisse-allemande, den Deutsch-Schweizern.

Die Gemeinde Saanen, zu der auch Gstaad, gehört, ist die erste wieder deutschsprachige. Die Berge heißen daher hier auch „Höhi Wispile“ oder „Horneggli“. (Auf welcher Seite des Grabens aber der mit dem Namen „Le Rubli“ steht, ist wohl leicht zu erraten…) 

 

Gstaad, durch das uns die Saanerin Claudia führt, ist nach Davos und Moritz der dritte Ort, der auch durch den Ski-Jet-Set bekannt ist. Gstaad ist definitiv der schönste der drei. Klein. Kuschelig. Zurückhaltend. Dörflich wirkt es (siehe Fotos). Aber anders als Davos und Moritz hat es keinen beeindruckenden See – was die Gäste im Winter nicht wirklich betrüben wird. Und uns auch nicht, denn der nächste längere Halt heißt „Thun“, passend zum Thuner See, an dem diese Stadt (die 11.größte der Schweiz) liegt.

Es ist heiß, als wir auf dem Rathausplatz von Thun eintreffen, zum demonstrativen Gemeinsam-Parkieren. Es ist sehr heiß, als wir durch die Altstadt laufen – und endlich ans Wasser kommen. Dorthin, wo der Thuner See zum Fluß Aare wird und durch die Altstadt fließt. Oder eher schießt. Denn es ist – der Schneeschmelze sei dank – ein Affenzahn, mit dem sich das Wasser, grünlich funkelnd unter den Holzbrücken hindruch den Weg bahnt.

 

Wir gehen über die Brücke (siehe Fotos) und dann entlang der Aare wieder gen Rathausmarkt zurück. Und da sehen wir sie: Mädels. Junge Frauen. Uuuund: Platsch!

Das macht man nicht, wenn man dem Leben nicht traut. Dieses: Platsch!

Die jungen Frauen springen von der Brücke, hinein ins kalte Nass und duckern unter, tauchen weiter unten auf und lassen sich mit reissen (siehe Fotos). Vom Fluß. Den Wassermassen. Durch die Stadt hindurch.

Mist! Und wir haben unsere Sachen dabei! So, mit Kleidung und Handy lässt es sich schlecht mitschwimmen.

Wir gehen zum Auto, fahren weiter, unserem heutigen Endziel Interlaken entgegen. Und natürlich gibt es jetzt kein Halten unsererseits mehr. Schon gar nicht bei dieser Frechheit an schönem Anblick, dem wir ausgesetzt sind, als wir am Nordufer des Thuner Sees fahren (Fotos).

Also bei der nächsten Gelegenheit schnell parkieren. Raus aus dem Auto. Uuuuund: Platsch! Hinein in die Welt. Mit allen Sinnen. Einfach so. Direkt. Ins frische Nass. Verbunden mit der Welt. Auch und vor allem jener, die über uns Menschen hinausgeht.