Tag 8 – Über Bern ins Reservat nach Luzern. Oder: Zur konkreten Energieversorgung der Elektros und den bäuerlichen Tugenden von Ernten und Lagern

Es ist doch eine Lust zu leben. Jetzt. In diesen Wochen und Monaten. Denn das Neue, diese neue Zeit, ist wirklich jetzt da. Fassbar da. Es beginnt, um sich zu greifen und mehr und mehr Bereiche miteinzubeziehen. Eine neue Welt entsteht und formiert sich. Man braucht nur hinzusehen und erkennt es an allen Ecken, Bereichen, Ebenen. Auch bei den Elektros, die nahe daran sind, Mainstream zu sein.

Aber geht das überhaupt? Wie wird es, wenn viele Autofahrer Elektros statt Benzinern fahren? Ja, was wäre, wenn alle Elektros fahren? Bricht dann alles zusammen?

Ganz und gar nicht. Denn.... (Fotos für Textzeilen und gute  Ansichten anklicken)


Es ist ein Freitag. An diesem Morgen verlassen wir Interlaken in Richtung Bern. Auf dem Weg in die Hauptstadt der Schweiz halten wir bei der Firma „Meyer Burger“ in Thun.

Der Besuch bei so einer Firma holt einen aus dem Himmel der fröhlichen Phantasie auf den Boden der Realität. Auf den Bereich, wo es um konkrete Zahlen und Daten geht, um wirkliche, reale Umsetzungen. Um fertiggestellte Projekte mit laufendem und messbarem Betrieb.

 

So eine Firma ist auch „Phoenix Contact“, die wir schon am zweiten Tag in Tagelswangen, auf dem Weg nach Schaffhausen besucht hatten. Das Unternehmen mit Hauptsitz im (deutschen) Westfalen und 15.000 Mitarbeitern produziert u.a. Lösungen für die Ladethematik. Zum Beispiel entwickeln sie Schnell-Ladesysteme, bei denen man in 20 Minuten die Energie für 300 Kilometer laden kann. HPC, High Power Charging heißt so etwas. „Zur Zeit haben wir 25 HPC-Stationen als Pilotprojekte laufen“, erklärt Balz Märki, der Geschäftsführer von „Phoenix Contact“ in der Schweiz (Foto).

Solche Produkte, solche Entwicklungen brauchen wir natürlich. Damit auch andere als nur Teslas (für die es bereits in ganz Europa, flächendeckend, Schnell-Ladungen gibt) die Benziner vollwertig ersetzen. Und somit die Zahlen der angemeldeten Elektros weiter steigen können.

 

VW zum Beispiel, so Balz Märki, geht davon aus, dass bis 2025 jeder vierte Neuwagen von VW elektrisch sein wird.

„Was? Nur jeder vierte?“, konstatieren wir. Wenn sich Volkswagen da mal nicht im Bedarf seiner Kunden mächtig irrt! 

Also gehen wir doch mal von mehr aus. Nicht nur von 25 Prozent der Neuwagen.

Herr Märki von „Phoenix Contact“ rechnet vor: Wenn in der Schweiz 50% der Autos Elektros wären, dann bräuchte man 10% mehr Strom, also ein AKW mehr.

Naja, AKWs sind keine gute Idee. Und außerdem haben nicht nur die Deutschen, sondern im Mai auch die Schweizer den AKWs „Ade“ gesagt. Mehr AKWs wird es also nicht geben können, sondern gar keine mehr. Und dann?

 

Kein Problem! Geschäftsführer Märki: Mit 10 Quadratmeter Photovoltaik-Platten kann man (bezogen auf die Schweiz) in einem Jahr diejenige Menge an Strom erzeugen, mit der man 10.000 Kilometer Auto fahren kann.

10 qm2 PV ist nicht viel. Es ist geradezu ein Pups. Ein Pupsli.

Und es muss ja nicht Strom aus der PV-Anlage sein. Strom aus jeder anderen erneuerbaren Energie-Form geht genauso gut. Wasserkraft zum Beispiel, Windenergie.

[Für alle, die nicht wissen, was PV-, also Photo-Voltaik-Anlagen sind: Es sind Platten, die Strom erzeugen, wenn Licht auf sie fällt. Natürlich könnte man auch mit einer Lampe auf diese Platten strahlen - nur eben würde diese Lampe ja auch wieder Strom benötigen. Die Sonne dagegen stellt eine extrem starke Lampe dar, die von selbst, ohne dass wir Energie einsetzen müssen, leuchtet.]

 

Aber was ist, wenn die erneuerbaren Energien nicht ausreichen für die vielen, vielen Elektros, die wir in unserer Phantasie bereits über Stadt und Land surren lassen?

Ganz einfach: Sie könnten auch mit Strom betrieben werden, der durch den Einsatz von Benzin, Diesel, Öl gewonnen wird. Das möchten wir natürlich nicht. Aber von der Machbarkeit her ist das gar kein Problem. Mit Elektros ist man also auf der sicheren Seite.

Andersherum sieht es mau aus. Benziner und Diesel brauchen eben das: Benzin und Diesel. Sie brauchen auf jeden Fall etwas, das in sehr aufwendigen und die Umwelt belastenden Prozessen hergestellt wird. Vornehmlich aus dem Rohstoff Erdöl. Sie können auf gar keinen Fall mittels erneuerbarer Energien angetrieben werden.

 

Ergo: Elektros sind immer die bessere Alternative, weil sie erneuerbare Energien „können". Und auch dann noch fahren, selbst wenn ihr Strom mal nicht aus erneuerbaren Energien käme. Aber wie sähe dann die Umweltbilanz der Elektros aus?

Glücklicherweise selbst dann noch besser als die von Benzinern und Dieseln!

Ja, selbst wenn Elektros mittels des großen Klimakillers Kohle betrieben würden, wären sie noch immer effektiver als Benziner.

Die Zahlen dazu? Gern.

Die Effizienz der verschiedenen Technologien lässt sich, so Professor Konrad Wegener von der ETH Zürich, durch die „Well-to-wheel“-Relation - Quelle-zum-Rad-Relation - fassen (Foto). Wieviel von der vorhandenen Energie geht in den eigentlichen Antrieb, in die eigentliche Wirkung der Maschine? Und wieviel ist der Verlust?

Diese Relation betrug vor 160 Jahren bei den Dampfmaschinen 6% (also 94% Verlust),

bei Benzinern ist der Anteil etwas höher, immerhin bei 14% (86% Verlust).

Für Elektros würde der Wert auch dann noch wesentlich höher sein, wenn ihre Elektrizität aus Kohle käme: 21% (79% Verlust).

 

Elektros sind also so oder so – ob unter Nutzung erneuerbarer  Energien oder nicht – besser.

Aber natürlich wollen wir ganz weg von den fossilen Materialien, von Öl, Gas, Kohle. Und zwar möglichst allesamt.

Zur Zeit, so berichtet Prof. Wegener, verbraucht jeder von uns 2 Liter Öl pro Tag. Weltweit jeden Tag 14 Milliarden Liter. Und die Hälfte davon geht für die Mobilität drauf. Wenn wir das jetzt ersetzen mittels E-Mobilität aus erneuerbaren Quellen … Rosige Zeiten!

 

Prof. Wegener rechnet vor, in welchen Dimensionen wir uns bewegen:

Um die 3 AKWs der Schweiz (sie besorgten 20% des Schweizer Energiebedarfs, im Jahre 2015) zu ersetzen, bedarf es 20 bis 30 qkm2 an PV-Paneelen.

„Meyer Burger“, das Thuner Unternehmen, bei dem wir an diesem Vormittag einkehren, ist auch aktiv auf dem Feld der Photo Voltaik. PV-Paneele, so erfahren wir, werden längst nicht mehr nur auf Hausdächer gelegt oder auf Feldern aufgestellt.

 

In der Schweizer Energie-Region „Goms“, zum Beispiel, stattet man die Lawinen-Verbauten im Gelände mit PV-Paneelen aus. PV-Paneele kommen auch auf Fassaden und auch gleich als Dachziegel auf die Häuser. Solche Neuheiten entwickelt und produziert u.a. „Meyer Burger“. Mit Schweizer Präzession.

Hui! Plötzlich bekommen die im Eingangsbereich aufgestellten Produktbeispiele, an denen wir uns recht desinteressiert vorbei bewegten, eine andere Aura. Jetzt sind sie doch interessant. (Foto)

 

Überhaupt: Es wird spannend, was die technologischen Spielereien in den nächsten Jahren noch alles ermöglichen werden. Vielleicht fahren wir bald auf PV-Straßen? Gehen auf PV-Fußwegen? Der Sonne wird das egal sein. Sie liefert die Unmengen an Strahlungs-Energie so oder so. Jeden Tag.

Wir brauchen nur ernten. Und dann die Ernte gekonnt lagern.

Es ist, als ob sich hier ein Kreis aus alter Zeit schließt und eine neuartige Runde beginnt - die Früchte der Natur ernten und sie dann auch lagern. So dass sie verfügbar bleiben.

Wir müssen es nur richtig bauen, anbauen. Wir brauchen nur Bauern werden. Eine Gesellschaft von Bauern, auch städtischen Bauern.

 

Aber: Moment einmal! Hier reden wir nur von der Sonnenergie.

Es gibt da ja noch anderes, was dazu kommt. Windenergie zum Beispiel. Oder auch Wasserkraft, die in der Schweiz mehr als die Hälfte des Energiebedarfs deckt. Diese Zahl nannte Dr. Roman Gysel von „Meyer Burger“ in seinem Vortrag vor der Wave – und bezog sich dabei auf 2015. (Foto)


 

Wenig später und 30 Kilometer weiter hören wir wieder einem Mann der Realität zu. Einem Mann der konkreten Daten und Zahlen. Der konkreten Umsetzung. Er konstatiert über die Situation der Elektromobilität: „Es ist jetzt alles in der Pipeline. Und bald wird das explodieren.“ Dabei ist der Mann alles andere als ein Phantast. Alec von Graffenried wirkt dynamisch, schnieke. Mitte Fünfzig, schlank, dunkle Haare. So wie er dort steht, in seinem feinen, beige-farbenen Sakko, könnte er auch ohne weiteres als Hamburger Reeder durchgehen. Oder als Chef einer Hamburger Werbeagentur. Auch den Hamburger Senator würde man ihm abnehmen. Nur reden dürfte er nicht. Denn dieser Sing-Sang! Das verrät ihn sofort.

Alec von Graffenried ist das Berner Äquivalent zu Olaf Scholz. Bürgermeister nennt er sich nicht. In der Hauptstadt der Eidgenossen ist derjenige, der das oberste Sagen hat, der Berner Stadtpräsident.

 

Stadtpräsident von Graffenried empfängt die WAVE persönlich. Mit einer Podiumsdiskussion auf der gerade stattfindenden Berner Messe. (Foto)

Er selbst, so von Graffenried, sei bereits ein Gläubiger. Er radle täglich elektrisch zur Arbeit und habe auch ein Elektro-Auto. Einen "Zoe". Und ja, er wisse: Die Ladeinfrastruktur sei jetzt das Thema.

Nicht für uns. Wir fahren ja, wie erwähnt, einen Tesla – und sind damit die surrende Reklametafel, der rollende Beweis, dass es eigentlich gar kein Thema, weil es alles ganz einfach ist. Das es auch kein Thema für alle anderen Elektro-Automarken sein würde, wenn man denn bloß wolle.

 

Von der Berner Messe surren wir zur Tesla-Ladestation und dann hinüber in das Emmental. Und dort durch das UNESCO Biosphären-Reservat „Entlebuch“, in dem sich auch die Garage von Herrn Emmenegger in Escholzmatt findet.

In Entlebuch wird das Modell vom nachhaltigen Leben und Wirtschaften konkret umgesetzt. Vollzogen. Gemacht. Es ist also auch so ein Bereich der echten Realität. Mit wirklich realisierten Projekten. Mit konkreten Daten und Zahlen.

 

Es sind zum Beispiel mehr als konkrete 100 ml noch warme Ziegenmilch, die mir in Rengg unter die Nase gehalten werden. „Hier probier mal“, sagt mir der Hamburger Architekt Paul, „das hat der Butsche da oben gerade für uns gemolken.“ (Fotos)

Der Junge gehört zur Kinderschar, die am hiesigen Hof auf uns Wave-Teilnehmer mit den schmucken Autos wartet. Mit kaltem Tee aus Kräutern, die die Bauern selbst sammeln, trocknen – und verarbeiten. Eben in Kräuter-Tee-Mischungen. Oder in frisch duftenden Kräuterkissen (von denen einige nach Hamburg reisen werden). Oder für den Verkauf an die Firma „Ricola“ – die mit den Kräuterbonbons.

 

Außerdem gibt es hier oben etwas, das man zwar oft bei Hamburg, aber noch selten in der Schweiz sieht: Windmühlen! Zwei Stück. Aufgestellt von einem hiesigen Bauern. Auch sie wurden konkret untersucht: Durch eine staatliche Studie im Jahr 2015 wollte man nachprüfen, wie viele Vögel nun konkret durch die Windmühlen getötet werden. Das Ergebnis: Null. Schön.

Unsere Route führt uns weiter, herunter bis nach Luzern, zum abendlichen Treffen an der dortigen Universität (Foto). Direkt an einem weiteren Schweizer See gelegen. Nächtigen werden wir aber, mit ein paar anderen Teams, ausserhalb von Luzern. In Beckenried. Dorthin reisen wir in der Dunkelheit, laden die Autos und sitzen zusammen. Noch ganz unbekümmert. Noch ganz unwissend. Denn noch sind wir in der Dunkelheit. Der Schlag wird erst morgen früh erfolgen. Wenn das Licht kommt. Dann wird er uns treffen. Gewaltig.